GIEßEN: Nach massiven Ausschreitungen in den Stunden vor einem für den 20. August 2022 geplanten eritreischen Konzert in den Messehallen in Gießen, hat die Stadt Gießen in der vergangenen Woche (28. Juni. 2023) dem Verein „Zentralrat der Eritreer in Deutschland“, eine Verbotsverfügung für ein zwischen dem 7. und 9. Juli 2023 am selben Ort geplantes „Eritrea-Festival“ zugestellt. Begründet wurde das Verbot mit schwerwiegenden Bedenken für die Sicherheit der Besucher der Veranstaltung und der Allgemeinheit. Im vergangenen Jahr hatten mehr als 100 Gewalttäter an den Messehallen Absperrungen durchbrochen, und waren mit Stöcken, Eisenstangen, Steinen und Messern auf ankommende Besucher und Aufbauhelfer losgegangen. 26 Helfende und Besucher seien dabei verletzt, und sieben Polizisten seien leicht verletzt verletzt worden, hieß es in einer Pressemitteilung der Polizei Mittelhessen vom 22.08.2022.
In einer Pressemitteilung der Stadt Gießen vom 29.06.2023 zum Verbot des jetzt geplanten Festival heisst es:
… „Bekannt – unter anderem durch Erkenntnisse der Polizei – sei, so begründet die Behörde, dass mehrere hundert gewaltbereite Störer auch aus dem europäischen Ausland anreisen wollten, um das Festival zu verhindern – ggf. auch mit Gewaltaktionen.
Nach Erkenntnis des Ordnungsamtes habe sich die Anwerbung dieser Gruppen mit konkreten Drohungen gegen die Veranstaltung und ihre Besucher in diesem Jahr im Vorfeld deutlich verstärkt. Die Gruppe wolle offenbar unabhängig von den angemeldeten Gegendemonstrationen agieren und das Festival verhindern. Auch konkrete Drohungen gegen Ordnungskräfte und die Polizei seien via Social Media verbreitet worden. Deshalb müsse man davon ausgehen, dass sich in diesem Jahr eine noch größere Anzahl gewaltbereiter Personen in Bewegung setze, um das Festival in Gießen zu verhindern, erläutert die Behörde in ihrem Verbotsbescheid.“ …
Eilantrag gegen Verbotsverfügung
Der Verein „Zentralrat der Eritreer in Deutschland“ legte gegen die Verbotsverfügung am 30.06.2023 einen Eilantrag beim Verwaltungsgericht in Gießen ein. Über diesen hat das Verwaltungsgericht am Mittwoch, 05. Juli 2023 zwei Beschlüsse gefasst. Anbei die Pressemitteilung des Verwaltungsgericht im vollständigen Wortlaut:
„Eritrea-Festival in Gießen darf stattfinden
Mit zwei Beschlüssen vom heutigen Tage gab das Verwaltungsgericht Gießen den Eilanträgen gegen das Verbot des Eritrea-Festivals statt. Das für kommendes Wochenende geplante Festival darf nach aktuellem Stand entgegen dem städtischen Verbot stattfinden.
Die Stadt Gießen untersagte mit Bescheid vom 28. Juni 2023 dem Verein „Zentralrat der Eritreer in Deutschland“ die Ausübung des vorübergehenden Gaststättengewerbes und verbot die Durchführung der Veranstaltung „Eritrea-Festival 2023“ auf polizeirechtlicher Grundlage. Gegen beide Entscheidungen wandte sich der Verein mit einem Eilantrag.
Die Stadt Gießen untersagte mit Bescheid vom 28. Juni 2023 dem Verein „Zentralrat der Eritreer in Deutschland“ die Ausübung des vorübergehenden Gaststättengewerbes und verbot die Durchführung der Veranstaltung „Eritrea-Festival 2023“ auf polizeirechtlicher Grundlage. Gegen beide Entscheidungen wandte sich der Verein mit einem Eilantrag.
Die Stadt begründete ihre Entscheidungen im Wesentlichen mit den zunehmenden Aufrufen gegen die geplante Veranstaltung in sozialen Medien und der zu erwartenden Gewaltbereitschaft von Gegnern der Veranstaltung – auch vor dem Hintergrund der Ausschreitungen im August 2022 in Gießen bei einer von dem eritreischen Konsulat in Frankfurt am Main organisierten Veranstaltung. Der Antragsteller habe kein ausreichendes Sicherheitskonzept vorgelegt und sei daher unzuverlässig im Sinne des Gaststättenrechts. Es sei zudem zu befürchten, dass eine mittlere dreistellige Zahl an gewaltbereiten Personen nach Gießen reisen werde, um die Veranstaltung zu stören bzw. zu verhindern. Es sei zu erwarten, dass sich gewaltbereite Personen Zutritt zu der Veranstaltung verschaffen und dort Störungen und Straftaten begehen würden.
Der Antragsteller trug demgegenüber vor, dass Gewaltaufrufe Dritter – wie von der Stadt angeführt – nicht vorab zu einem Verbot der Veranstaltung führen dürften. Zudem stünden die Vorkommnisse im August 2022 nicht im Zusammenhang mit der hier bevorstehenden Veranstaltung. Es würden weder dieselben Künstler noch vergleichbare Redner auftreten.
Die für das Gaststättenrecht zuständige 8. Kammer führte in ihrer Entscheidung aus, dass dem Antragsteller zu Unrecht die Ausübung des vorübergehenden Gaststättengewerbes untersagt worden sei. Für eine gaststättenrechtliche Unzuverlässigkeit des Veranstalters lägen im Zeitpunkt der Entscheidung durch die Stadt keine ausreichenden Anhaltspunkte vor. Insbesondere habe der Antragsteller bereits am 12. Juni 2023 ein Sicherheitskonzept vorgelegt welches durch die Stadt erstmals 26. Juni 2023 beanstandet worden sei.
Auch die polizeirechtliche Verbotsverfügung ist nach Auffassung der 4. Kammer rechtswidrig. Der Veranstalter könne polizeirechtlich nicht in Anspruch genommen werden, weil die befürchtete Gefahrenlage nicht von ihm ausgehe. Bei den befürchteten Ausschreitungen handele es sich um außerhalb des Einflussbereichs des Antragstellers liegende Vorgänge. Die Stadt Gießen habe zudem die Möglichkeit von Maßnahmen unterhalb der Schwelle des Veranstaltungsverbotes, um Sicherheitslücken zu begegnen.
Die Entscheidungen (Beschlüsse vom 5. Juli 2023, Az.: 8 L 1603/23.GI und 4 L 1614/23.GI) sind noch nicht rechtskräftig. Die Beteiligten können dagegen binnen zwei Wochen Beschwerde beim Hessischen Verwaltungsgerichtshof in Kassel einlegen.“
Die Stadt Gießen hat bislang eine Nachfrage, ob sie Rechtsmittel gegen die Beschlüsse einlegen wird, nicht beantwortet.
Das Festival ist politisch wegen seiner Nähe zur Regierung Eritreas bei Kritikern umstritten. Die Veranstalter betonen hingegen, dass es ein reines Familien- und Kulturfest sei.
updates:
- Die Stadt Gießen hat mitgeteilt, dass sie gegen die Beschlüsse des Verwaltungsgericht Gießen vom 5. Juli 2023 Beschwerde beim Hessischen Verwaltungsgerichtshof eingelegt habe. Dies geht aus einer Pressemitteilung der Stadt Gießen von 5. Juli 2023 hervor.
- Der Hessische Verwaltubgsgerichtshof bestätigt auf hiesige Anfrage den Eingang der Beschwerde(n), teilt am 6. Juli mit, dass darüber noch nicht entschieden sei, und kündigt eine Pressemitteilung an, sobald Beschlüsse gefallen seien.
- Der Presse ist zu entnehmen, dass mehrere Gegendemonstrationen für Freitag, 7. und Samstag 8. Juli 2023 angemeldet seien. Trotz mehrmaliger hiesiger Anfragen vom 4. und 6. Juli 2023 weigert sich die Stadt Gießen bislang Auskünfte darüber zu erteilen, wer die Anmelder der Gegendemonstrationen sind. Eine hiesige Nachfrage nach den Gründen für diese Weigerung vom 6. Juli 2023 blieb bislang von der Stadt Gießen unbeantwortet.
- Am 30. Juni 2023 fand in Räumlichkeiten der Kongresshalle Gießen eine Pressekonferenz statt, in der sich mehrere Personen gegen die Durchführung des Festivals aus politischen Gründen ausgesprochen haben. Dies geht aus mehreren im Internet verbreiteten Statements, Bildern und Videos hervor. Die darauf zu sehenden Personen haben sich in der Pressekonferenz gemeinsam präsentiert. Teilnehmende zählen einerseits zu den Protagonisten, die in der Vergangenheit gegenüber der Öffentlichkeit, etwa in Interviews, wiederholt erklärt haben, weshalb sie aus politischen Gründen an den weitgehend friedlichen Demonstrationen, die sich gegen das Festival wandten, teilgenommen haben, andererseits aber auch zu denjenigen, welche zu gewaltsamen Protesten gegen das Festival zwischen dem 7. und 9. Juli 2023 in sozialen Netzwerken in einer Vielzahl von Veröffentlichungen aufrufen. Die Polizei ermittelt wegen der gewalttätigen Angriffe am 20. August 2022 gegen mehr als hundert Tatverdächtige, unter anderem wegen schwerem Landfriedensbruch und gefährlicher Körperverletzung. Die Messehallen Gießen, in denen das Konzert am 20. August 2022 veranstaltet werden sollte, und das Eritrea-Festival 2023 zwischen dem 7. und 9. Juli 2023 betrieben werden soll, werden von einer privaten Firma betrieben. Betreiber der Kongresshalle Gießen, in deren Räumlichkeiten die Pressekonferenz vom 30. Juni 2023 stattfand ist die „Stadthallen Gießen GmbH“ (SHG). Aus dem in der Internetpräsenz der Universitätsstadt Gießen veröffentlichten aktuellen Beteiligungsbericht für das Jahr 2021 geht hervor, dass die Universitätsstadt Gießen an der SHG 100 % Beteiligte Alleingesellschafterin ist.